MUSIQUE BRETONNE
(10er Rezensions-Paket aus dem allerletzen Folk Michel)


Seit Monaten machen zwei CD's mit Kinderfolk Furore. Was zunächst nur ein Projekt war, geriet unversehens zu einer gefragten Aufführung. Die Gruppe nennt sich nach dem Titel der ersten CD, die kaum zu bekommen ist, Les Ours du Scorff. Die zweite CD - La Maison des Bisous führt das Konzept konsequent fort. Bis auf ein paar wenige traditionelle Titel enthält sie neue, äußerst einfallsreiche und witzige Texte (auf Französisch) der beiden Sänger Gigi Bourdin und Laurent Jouin. Die eigens komponierter Musik ist ausgefeilt arrangiert (von Fañch Landreau, Ex-Skolvan, und Soïg Sibéril) und macht die CD auch für Nicht-Kinder hörenswert. Die stilistischen Anleihen reichen von Chanson bis Cajun und natürlich bretonischer Musik. Die Lieder kennt mittlerweile fast jedes bretonische Kind. Ich habe eine abendliches Kinderkonzert miterlebt, wo der ganze Saal mitsang und eine tolle Stimmung herrschte. Mit von der Partie sind noch der Banjospieler Jacques-Yves Rehault und Frédéric Lambierge von Strakal (Akkordeon, Gitarre und Diverses).
Keltia Musique KMCD 70, auch als MC, Beiheft mit franz. Texten
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Viel
Liedgut gibt es auch auf der CD Parfum d'épices et goût de sel der Gruppe Djiboudjep. Sie ist führend in jener Folksparte, um die ich persönlich einen geschmacklichen Bogen mache, die Chants de marins, die im fm bislang ein sträfliches Steilküstenblümchendasein führen (und weiter führen werden, wenn sich nicht Meer Folk-Fans dafür finden). Die Chansons und Seemannslieder der bretonischen Westküste sind meine Sache nicht, dabei machen sie gut ein Fünftel der bretonischen Musikproduktion aus, schätze ich. Was Djiboudjep auf seiner xten CD musikalisch bietet, entlarvt mich indes als Ignoranten, denn es ist aller Ehren wert. Die weltweite Palette der Shanties kommt zur Geltung, gesanglich perfekt, gut arrangiert und mit einigen Überraschungen (für mich). Djiboudjep ist eigentlich ein Trio (Mikaël Yaouank, voc, Patrick Le Garrec, g, Philippe Berthonneau, v), es mischen aber meisten etliche andere mit. Hier unter einem guten Dutzend Musiker auch Fañch Landreau (s. o.) und mehr als passable Uilleann Pipes von Pascal Martin (spielt auch bei Koun). Unter den populären Liedern auch eine hier nicht erwartete schöne Version vom Andy Waltz. Also anhören sollte man sich das schon mal, auch wenn es nur nicht akzeptable 24:28 lang ist.
Escalibur / Coop Breizh CD 869
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Eine
ganz andere Art von Gesang bietet die CD Femmes de Bretagne. Die unbegleiteten Lieder aus dem Bigouden, der Haute Cornouaille und dem französischsprachigen Teil (Pays Gallo) werden hier von vier Musikerinnen der jüngeren Generation dargeboten (Solo, Duett, Schlußtitel als Quartett), Marie-Aline Lagadic, Lydie Le Gall, Klervi Rivière und der derzeit populärsten Sängerin in der Bretagne Annie Ebrel. Bei Live-Auftritten ist oft noch Louise Ebrel dabei, eine Tochter der legendären Eugènie Goadec. Ein sehr eindrucksvolles Album dieses so spröden Genres.
Keltia Musique KMCD 74, auch als MC, Begleitheft mit Texten
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Aus der Abteilung Sakralfolk ist wieder ein Couple Bombarde & Orgue zu vermelden. Jean Michel Alhaits & Jean-Pierre Rolland haben die neue Orgel in Carhaix getestet. Das Resultat ist zu hören auf der CD Fantaisies. Die Herkunft der 21 Titel ist leider nirgends angegeben, neben Traditionellem handelt es sich um Stücke aus dem 15.-17. Jh. (u. a. Francisco de Layalle, Thomas Morley, William Byrd und Philidor l'Aîné). Nur bedingt folkrelevant.
Escalibur / Coop Breizh CD 868
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Dasselbe
gilt auch für die CD des Ensemble vocal féminin Colortalea Messe de Kernascléden. Die Aufnahmen sind ihres Hintergrundes wegen hochinteressant. Kernascléden ist ein kleiner Ort nördlich von Lorient, dessen Kirche (Notre-Dame) sich durch gut erhaltene Ausmalungen um 1430 auszeichnet. U. a. sind musizierende Engel dargestellt, von denen einer eine Schriftrolle mit Noten für eine Messe hält. Ein dazu passendes Manuscript aus dem 13. Jh. befindet sich in einer Bibliothek in Barcelona, die merkwürdige Verbindung hat etwas mit der Christianisierung der Bretagne zu tun. Auf der Grundlage dieser Messe wurde die vorliegende CD produziert.
Escalibur / Coop Breizh CD 866, ausführliches Beiheft franz./engl./bret.
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In die Sparte Feldaufnahmen gehört die CD Sonneur fisel von Christian Duro. Er präsentiert hier mit einigen Instrumentenkollegen (u. a. Erik Marchand) die Treujenn-gaol, wie die Klarinette im Fisel, einer Gegend der Haute Cornouaille (Rostrenenn, Maël-Carhaix), heißt (andernorts auch Glarinetenn). Trotz der Mitwirkung von "nombreux musiciens de divers horizon" dürfte hierzulande die sehr lokal orientierte CD ausschließlich bei Klarinettenliebhabern Anklang finden.
Escalibur / Coop Breizh CD 872
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Eine
geballte Ladung gleicher Instrumente schallt einem auch von der CD des Ensemble de Bombardes Ortolan entgegen. Die 12 beteiligten Spezialisten bombardieren mit ebensovielen Stücken das geneigte Ohr. Hört sich an wie eine Bagad light (die meisten Musiker kommen auch aus diversen Bagadoù). Die eingeladenen Musiker - u. a. Frank Le Bloas, Bouzouki (von der Gruppe Storvan), Christian Lemaître, Geige, Gwenaël Goulène, Harfe - wirken nur gelegentlich mit, leider. Aber auch diese CD ist sicher nicht des Exportes wegen eingespielt worden.
Keltia Musique KMCD 71, auch als MC
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Eine
der ganz erfreulichen neuen Einspielungen ist die CD Rag ar plinn der seit etwa zwei Jahren existierenden Gruppe Skeduz. Im Grunde ist das ein Biniou/Bombarde-Couple (Yvon Lefèbrve/Dédé Thomas) mit Begleitung (Ronan Pellen, Cello, Cister, Laurent Dacquay, g, Nicolas Quéméner, g, fl), dazu gesellen sich als Gäste Hopi Hopkins, der Unvermeidliche, perc, und Hilaire Rama, Bass. Klar, daß das Fest-Noz-Musik ist. Mit so einfachen wie effektiven Mitteln wird hier aus traditionellen Titeln, auch wenn ein paar eigene darunter sind, zeitgenössischer Folk gemacht. Die beiden Bläser sind gut aufeinander eingespielt, die Begleitung konzentriert sich auf den harmonischen Gehalt und versucht nicht, die Melodie auszuschmücken. Das Ganze swingt auch noch ungemein. Natürlich haben die Vorbilder, aber die werden sie nicht mehr lange brauchen.
Keltia Musique KMCD 72, auch als MC
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In
eine ähnliche Kategorie gehört Gwenfol mit ihrem Debutalbum Berdadaou. Das ist ein blutjunges Quintett: Jean-Pierre Andrieux (g, Drehleier, Darbouka, Kobza), Gurvan Dréano (Bombardes), Olivier Guénégo (g, p), Stéphane Le Dro (cl, Didgeridoo), Yannig Noguet (acc. diat). Als Gäste wirken u. a. der oben genannte R. Pellen am Cello mit sowie ein paar nachnamenlose Blechbläser. Auch das ist Fest-Noz-Musik, mit der Betonung auf auch, denn der Anspruch liegt wohl etwas höher. Gwenfol verarbeitet eine Menge musikalischer Einflüsse mit Bravour. An Gruppen wären Carré Manchot und Tammles anzuführen, sicher auch Ar Re Yaouank. Die Arrangements und Einfälle sprudeln gelegentlich etwas über, und wenn der beabsichtigte musikalische Effekt im Vordergrund steht, läuft die Begleitung nicht ganz so rund, weniger wäre hier manchmal mehr. Aber was soll's, die steigen ziemlich weit oben ein.
EOG / Coop Breizh EOG 102
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Zum
Schluß, wo wir schon bei den Festoù-Noz sind, noch eine Einsteiger-CD, Fest Noz live mit Skolvan, Bagad Kemper, Ebrel/Le Buhé, Baron/Anneix und Les Frères Quéré. Bis auf die Gesangsbrüder Quéré alle fm-Lesern geläufig. Dies ist kein Mitschnitt eines einzigen Fest-Noz, sondern verschiedener. Im Gegensatz zu manch anderer (wenn nicht aller) ähnlich betitelter CD handelt es sich jedoch um echte Fest-Noz-Aufnahmen, nicht um einen nachträglichen Studiomix. Leider sind die mitgelieferten Informationen mangelhaft. Wenn eine Gruppe wie Skolvan sich personell neu orientiert und dies die ersten Aufnahmen davon sind, sind Musikerangaben unerläßlich. So hört man bei Skolvan gute Drums (Dom Molard) und eine weniger überzeugende Trompete (Gabi Kerdoncuff). Der Geiger Fañch Landreau ist offenbar noch dabei, mittlerweile nicht mehr. Aufnahmedaten und -orte fehlen. Die tänzerischen Erläuterungen im Booklet sind für einen Neuling unzureichend. Das alles verwundert, zeichnet doch Gilles Le Bigot, der Gitarrist von Skolvan, für das Album verantwortlich. Ebrel/Le Buhé und Les Frères Quéré bezeugen wieder einmal, daß bretonische Musik schon tanzbar ist, wenn sie nur gesungen wird. Das klassische Bombarde-Biniou-Couple (Baron/Anneix) darf auf einer Fest-Noz-CD nicht fehlen. Es scheint, als sei mancher Mangel auf die aufnahmetechnischen Probleme eines Live-Mitschnitts zurückzuführen, der sicher nicht zu Unrecht mehr Gewicht auf die Atmosphäre legt. Es ist eine gute Fest-Noz-CD, aber nicht "the ultimate Fest-Noz album".
Keltia Musique KMCD 76, auch als MC
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Andel Bollé, Folk Michel 5/97