Cercle Celtique
zwischen "Tümelei" und "Avantgarde"?

Mitglieder des Pforzheimer Folkclub Prisma führten zusammen mit dem bretonischen Gitarrenbauer Claude Lemercier am Ostersamstag ein Gespräch mit Alain Quinio und Maurice Le Nestour von Danserien Ar Vro Pourlet, der örtlichen Gruppe des Cercle Celtique (CC) in Le Croisty, im Zentrum der Bretagne (Pourlet).

Anlaß des Gespräches war, einmal nachzufragen, wie in den Regionen mit - wie wir meinen - intakter Folkmusik selbige am Leben erhalten wird. Auf den CC stößt man in der Bretagne sehr häufig, er ist allerdings nur eine von mehreren Organisationen, die sich mit der Tradition des Landes beschäftigen. Einzelheiten sind uns aber bisher kaum bekannt gewesen, weswegen wir dort anfingen, wo es uns ergiebig zu sein versprach. Insbesondere interessierte uns der Rahmen, den die Folkmusik in der Bretagne vorfindet. Denn der Zustand oder Mangel des musikalischen Kontextes erscheint uns als ein Hauptgrund für das Mauerblümchendasein, zu dem die Folkmusik in Deutschland nach wie vor verurteilt zu sein scheint.


Als an den Traditionen des Landes interessierter Besucher der Bretagne stößt man häufig auf den Namen des "Cercle Celtique", etwa als Veranstalter von Tanzfesten "Festoù-noz". Eine Vorstellung, was sich hinter ihm verbirgt haben wir aber nicht. Wie alt ist diese Einrichtung und was macht sie konkret?
Wir haben in Le Croisty 1981 damit angefangen, wieder "Animation" zu betreiben, die Menschen in dieser Gegend also wieder mit ihrer kulturellen Tradition in Form von Kostümen, Gebräuchen, bretonischer und keltischer Musik und Tänzen zu konfrontieren, denn es gab in Le Croisty keine Gruppe mehr, die dies tat. 1988 haben wir uns dann als offizielle Gruppe des CC etabliert.

Das gilt aber doch wohl nur für diese Gegend, der CC ist doch vermutlich älter?
Ja, sicher, aber hier bei uns nicht. Es gab Gruppen in Pontivy oder Auray, die unsere Tänze vorführten, aber in der unmittelbaren Umgebung, also da wo sie eigentlich herkamen, existierten sie nicht mehr. In Kernascléden (mehr oder weniger benachbart; Anm. d. Verf.) etwa bestand eine solche Gruppe nur bis Ende der 50er Jahre. Die ersten Gruppen des CC sind nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden, mit die ältesten sind die von Kemper (Quimper) und Pont-l'Abbé, also im Cornouaille. Die haben auch viel mit Bagadous gearbeitet. (Die Bagad von Quimper gehört noch heute zu den besten überhaupt; Anm. d. Verf.). Es gibt zwei Dachorganisationen des CC, War'l Leur ("Nachfolge") und Kendalc'h ("Zusammenkunft").

Wo ist da der Unterschied?
Sie gewichten unterschiedlich, die einen machen mehr Tanz, die anderen mehr Kostüme, aber das geht quer durch alle Gruppen, im Grunde jedoch machen beide Dachorganisationen dasselbe. Und bei den großen Festivals in Lorient oder Kemper oder auch in Concarneau sind sie eh alle da.

Aber warum dann zwei Dachorganisationen?
Keine Ahnung, die werden sich wohl mal verkracht haben. (Dieser Punkt war auch durch die Befragung anderer Leute nicht aufzuklären; Anm. d. Verf.).

Welche Struktur hat die Organisation, sind das Vereine oder so etwas?
Ja, natürlich. Es gibt die Ortsgruppen und darüber eine Föderation, die sich aber nicht an den Departements orientiert, sondern an den regionalen historischen Kontexten. Diese Struktur gibt es in der ganzen Bretagne und auch im Departement Loire-Atlantique. Es sind auch außerhalb der Bretagne CC-Gruppen gebildet worden, in Bordeaux, Lille, Orléans, Straßburg, Paris. Die CC-Gruppen außerhalb der Bretagne haben eine eigene Dachorganisation, die Divrouêt.

Kann jeder in eine Gruppe des CC eintreten und wie groß sind solche Gruppen?
Da kann jeder rein; wir in Le Croisty haben etwa 80 Mitglieder, davon 50 Tänzer und etwa 35 bis 40 Leute, die bei auswärtigen Veranstaltungen mitwirken.

Wie groß ist der CC insgesamt?
Beide Organisationen haben ungefähr je 50 Gruppen à 30 Mitglieder im Schnitt, also insgesamt sind etwa 3000 Leute im CC organisiert, das ist bei unserer Einwohnerzahl von nur 3 Millionen relativ viel.

Wie finanziert sich der CC?
Eine staatliche Förderung gibt es in Frankreich nicht, dadurch aber auch keine Einflußnahme. Wenn überhaupt, gibt es nur Zuschüsse der Gemeinden. Wir bekommen z. B. 4.000 Francs (ca. 1.200 DM) im Jahr von der Gemeinde. Der Mitgliedsbeitrag beträgt FF 30/Jahr. Zur Finanzierung verwenden wir die Gagen, die unsere Gruppen bei auswärtigen Auftritten erhalten, veranstalten ein Fest-noz im Jahr und dazu noch ein Radrennen.

Was tun die Ortsgruppen des CC denn so?
Man versucht alle Bereiche, die zur Tradition gehören, abzudecken, also Tanz, die zugehörige Musik, Lieder, aber auch die Trachtenpflege. Ein Frauenkostüm kostet z. B. etwa 1.000 Francs, und es gibt spezielle Aufgaben hierfür wie Spitzenklöppeln oder auch das komplizierte Bügeln der Hauben. Hier tauschen sich die Gruppen der beiden Dachorganisationen aus, der eine lernt vom anderen.

Uns interessiert als deutscher Folkclub natürlich in erster Linie die Musik. Gibt es hier eine besondere Art der Unterstützung des CC für Musiker, etwa für Bagadoù?
In der Form nicht, wir arbeiten allerdings mit der Bagad von Le Faouët (Bagad Marionick) zusammen. Jeden Samstag Mittag wird dort Musik gemacht, etwa Bombarde/Cornemuse, und am Nachmittag dann bei uns getanzt, aber die Ausrichtung liegt deutlich auf dem Tanz. Jede Gruppe des CC hat natürlich ihre Musiker, denn in der Regel wird zu Live-Musik getanzt. Traditionellerweise sind das meist Duos - Bombarde/Biniou, manchmal aber auch nur Akkordeon. Wir in Le Croisty treten aber auch zusammen mit der Bagad von Le Faouët auf Veranstaltungen des CC auf.

Veranstalten Sie auch Wettbewerbe für Musiker?
Nein, wir nicht, früher hatten wir einen Concours de Pourlet, einen Wettbewerb für Musik und Tanz dieser Gegend. Für die musikalische Seite sind andere Organisationen zuständig, wie die BAS (Bodadeg Ar Sonerien) (vgl. den Bericht über das Championnat des Sonneurs en Couple im FM 1/93). Eigene Musikwettbewerbe machen nur wenige, z. B. in Locoal-Mendon (im Süden), wo es seit fünf Jahren im Mai einen Concours für Miniformationen von Bagads gibt, in der Besetzung aber nicht unbedingt immer traditionell (z. B. 3 Bombarden/1-2 Schlagzeuger; Anm. d. Verf.).

Der CC veranstaltet aber auch selbst Festoù-noz?
Ja, um Geld zu verdienen, u. a. für das Auftreten seiner Tanzgruppen.

Werden hierzu nur Musiker des CC eingeladen?
Nicht nur, wir haben aber hier drei Gruppen, die in der Regel auf unseren Festoù-noz spielen. Da ist einmal eine Band junger Musiker Tan Ba'n Ty (Blitzstrahl), die in der Besetzung Bombarden, Akkordeon, Biniou-koz, Baß, Gitarre spielt, dann gibt es Diroll (etwa "Entfesselung"), eine lokale Gruppe aus Le Faouët mit diatonischem Akkordeon, Bombarde, Geige, Gitarre und eben die Bagad Marionick.

Existieren Kriterien, nach welchen Musiker z. B. zu Festoù-noz nicht eingeladen werden?
Eigentlich nicht, sie müssen aber Tanzmusik machen und keine Musik nur für sich selbst. Es wird grundsätzlich jede Art von keltischer Musik gespielt, also auch irische oder schottische, und die entsprechenden traditionellen Tänze verwendet, auch Polka, Mazurka, selbst Bourrées, neben den bretonischen natürlich wie An Dro, Laridé etc.

Bei unserem Schwarzwaldverein wäre es schwer vorstellbar, daß jemand mit einem Saxophon daherkommt.
Sie können von uns auch aus Saxophon spielen, Hauptsache die Musik ist traditionell.

Wenn Sie im Zusammenhang mit keltischen Tänzen Mazurka oder Polka erwähnen, haben wir da so unsere Schwierigkeiten.
Es ist so: Wenn wir ein Fest-noz fürs Publikum machen, versuchen wir eine breite Palette traditioneller Tänze anzubieten. Wenn wir mit eigenem Programm auftreten, werden nur bretonische Sachen gespielt aus den verschiedenen Regionen wie Plin, Pourlet, Ronde de Loudéac etc. Der typische Tanz der Gegend um Le Croisty ist die Gavotte-Pourlet, ein sehr spektakulärer Tanz (bei dem die Männer akrobatische Luftsprünge vollführen; Anm. d. Verf.).

Führen Sie auch Tanzkurse durch?
In dem Sinne nicht, wir schicken wohl - wie andere Gruppen auch - Leute zu Veranstaltungen der Dachorganisation, wenn dort ein bestimmter Tanz geübt werden soll (die Tänze sind in den einzelnen Regionen der Bretagne sehr unterschiedlich und werden auch nicht überall getanzt; Anm. d. Verf.). Solche Kurse (stages) gibt es auch für alle anderen angesprochenen Aktivitäten.

Was uns aus deutscher Sicht besonders interessiert, weil es möglicherweise vergleichbar ist: Wie sah die Situation hier aus, als man in den 80er Jahren begonnen hat, die Traditionen wieder aufleben zu lassen?
Es war nicht so, daß keine Tradition mehr vorhanden gewesen wäre. Es gab aber keine Gruppierung mehr, die die Traditionen dieser Gegend außerhalb hätte repräsentieren können, es wurde aber natürlich schon noch getanzt, und Festoù-noz gab es auch. Wir haben drei Jahre gebraucht, um eine solche Gruppe aufzubauen. Was aber völlig daniederlag waren beispielsweise die Kostüme. Die Leute haben nach dem Krieg die Trachten weggeschmissen oder verbrannt, weil sie keiner mehr brauchte. Wir sind auf allen Dachböden der Gegend herumgekrochen und haben gerettet, was noch da war. Um sie zu reparieren mußten wir z. B. für die Knöpfe eigene Stanzformen herstellen, weil es solche nicht mehr gab. So ein Knopf kostet heute 10 bis 15 Francs.

Wir haben gehört, daß nach dem letzten Weltkrieg die traditionelle Musik in der Bretagne kaum noch gespielt wurde.
Ja, das war schon so. Es gab nur noch ein paar Dudelsackspieler. Aber dann hat die BAS begonnen, das wieder aufzubauen, und heute gibt es wieder ca. 3.000 "Sonneurs" in der Bretagne. Die Bewegung ging aber parallel mit den anderen Organisationen wie dem CC, wenn auch örtlich unterschiedlich. So gibt es die Bagad in Le Faouët schon sehr lange, einen CC hat es dort aber nie gegeben.

Hatte diese Bewegung auch einen politischen Hintergrund?
Nein, vielleicht unmittelbar nach dem Krieg, aber eigentlich war und ist sie unpolitisch, mit den Autonomiebestrebungen oder gar Bombenlegern hatte sie nichts zu tun, und wenn einer dabei gewesen sein sollte, so wird er es kaum gesagt haben. Es gab und gibt auch keine staatlichen Widerstände gegen die traditionelle Bewegung, wir geben Tanzunterricht in den öffentlichen Schulen, wo man übrigens auch Bretonisch lernt. Wir wissen aber, daß Leute von außerhalb diese Dinge anders sehen, aber es trifft nicht zu.

Einer unserer ersten bleibenden Eindrücke vor Jahren war die Beobachtung, auf einem Fest-noz eine Oma mit ihrem punkigen Enkel volkstanzen zu sehen, in Deutschland ziemlich undenkbar.
Ja, wir haben einen hohen Anteil an Jugendlichen, neulich waren von 400 Besuchern 300 zwischen 18 und 20 Jahre alt, und alle tanzten.

Welche Rolle spielen die Touristen, stören sie oder werden sie gebraucht?
Wir brauchen sie auf jeden Fall, z. T. machen wir die Festoù-noz ja auch ihretwegen, sie sind willkommen.

Was unternehmen Sie denn, wenn Sie sehen, wie einige unkundige Touristen sich gliederschüttelnd unter die Tänzer mengen?
Wenn es zu schlimm wird, greifen wir ein, sofern es eine Veranstaltung von uns ist. Es hängt sich von uns jemand links oder rechts ein (es handelt sich meist um Kettentänze; Anm. d. Verf.) und klinkt die Betreffenden einfach aus, vor allem, wenn sie weit am Anfang tanzen, weil dies den Tanz als ganzen beeinträchtigt. Wir bilden dann manchmal eine zweite Reihe hinter den Vordersten (dort sind in der Regel die besten Tänzer; Anm. d. Verf.) und versuchen, den Leuten die richtigen Schritte beizubringen, ganz ohne erhobenen Zeigefinger.

Gibt es vergleichbare Entwicklungen oder Organisationen wie den CC auch in anderen Regionen Frankreichs?
Ja, in der Provence, in den Vogesen oder der Auvergne, die wir auch zu unseren Veranstaltungen einladen. Sie haben ähnliche Föderationen wie wir. Wir kennen zwar die in der Provence ganz gut, über Organisationsstrukturen können wir aber wenig sagen.

Wir danken für das interessante Gespräch.


Nach dem Interview hängten wir noch ein paar Ohren in den anschließenden Übungsnachmittag des örtlichen Cercle. Als Vorbereitung für einen auswärtigen Auftritt übten dort unter Anleitung des Cercle Jugendliche die schwierige Gavotte Pourlet, ein Tanz mit akrobatischen Einlagen im "griechisch-römischen Stil", begleitet von einem nicht wesentlich älteren Trio (Akkordeon, Bombarde, schottischer Dudelsack), auf einem Niveau wie wir es hier von manchen "bretonisch" spielenden deutschen Folkgruppen nicht kennen. Wenn sich auch im Verlauf der Unterhaltung herausstellte, daß der CC für musikalische Erkenntnisse nicht unbedingt der richtige Gesprächspartner ist, weil seine Aktivitäten viel breiter angelegt sind, so drängten sich doch einige Schlußfolgerungen auf. Das deutlichste Resultat für uns war die Erkenntnis, daß es wie bei uns zwar ebenfalls viele "tümliche" Tendenzen in der Bretagne gibt, daß eine hierzulande noch übliche Ausgrenzung aber nicht stattfindet, weder von Seiten der Organisationen und Veranstalter, noch von Seiten der Musiker. Eine Traditionspflege wie sie bei uns etwa die Trachtenvereine betreiben, die Tänze bühnenreif vorführen und in ihrer dazugehörigen Musik weder in Melodik und Harmonik oder in der Instrumentierung irgendwelche "Roots" erkennen lassen, ist m. E. unvollständig. Zwar hat auch die Bretagne ihre konservativen Tendenzen, sie werden aber nicht mit vergleichbarer Exklusivität - im eigentlichen Wortsinne - betrieben. Es ist nicht zu übersehen, daß die Struktur der "Szene" in der Bretagne einen Rahmen für Folkmusik schafft bzw. geschaffen hat, die mit der unsrigen nicht zu vergleichen ist. So gesehen können wir es uns auf Dauer wohl kaum leisten, einen exklusiven Folkzirkel zu pflegen, der das nötige Umfeld wohl fordert, aber nicht selbst schafft. Gewiß wird ein Folkclub nicht mit einem Heimatverein fusionieren, aber irgendetwas muß passieren, und darüber muß diskutiert werden.

Andel Bollé, Folk Michel 3/94

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