COCKTAIL DIATONIQUE
Ein interessanter neuer Drink aus der Bretagne

Auf dem Festival in Cleguerec 1991 trat dieses Akkordeonquartett aus der Bretagne erstmals vor ein größeres Publikum, um Newcomer handelte es sich allerdings auch damals durchaus nicht. Patrick Lancien aus Loudéac ist Mitglied der Formation BF 15 und wirkte auch schon bei der Gruppe Diaouled Ar Menez mit; Yann-Fañch Perroches aus Cleguer ist FM-Lesern vielleicht von der Gruppe Skolvan geläufig (s. FM 5/91 u. 1/92); Ronan Robert aus Nantes schließlich gehört zu Carré Manchot (s. Plattenkritik FM 6/92); Jacques Beauchamp aus der Gegend von Redon spielt nicht nur Akkordeon, sondern singt auch und spielt Binou (koz). Im Dezember letzten Jahres legten das Quartett eine erste CD vor.

Dies und die zunehmenden Beispiele von Musikgruppen mit gleichen oder gleichartigen Instrumenten sind Anlaß, genauer hinzuhören und zu hinterfragen, wieweit dies nur eine modische Zeiterscheinung ist oder ob das musikalische Spektrum tatsächlich erweitert wird. Die Ergebnisse solcher Experimente sind nämlich keineswegs immer befriedigend, jedenfalls was die Platten angeht, aber auch bei Sessions. An Beispielen derart gehäufter Instrumentierung fallen mir spontan ein: in Irland v. a. die Fiddler: Fiddlers 5 (FM 3/92), Fiddle Stick, Celtic Fiddle Connection, in der Bretagne: Archetype (Streicher), Quintet Clarinettes (FM 1/92) und Kemia (Zupfinstrumente). Von größeren Orchestern, die ja durchaus traditionell sind (Drehleiern in der Auvergne, Bagadbands) oder ausgesprochenen Instrumentalsamplern sehe ich hier ab. Die Problematik liegt meines Erachtens bei den Konsumenten, weil es das Durchhaltevermögen der Zuhörer doch arg strapaziert, eine knappe Stunde mit nur einer Art von Melodieinstrument konfrontiert zu werden. Es ist auch nicht einzusehen, warum die Häufung eines bestimmten Melodieinstruments ohne arrangierte Begleitung vonstatten gehen muß, wie mir dies zu häufig der Fall zu sein scheint.

Wie argumentieren ihrerseits die Musiker? Cocktail Diatonique spielt - wie der Name schon sagt - auf diatonischen Instrumenten, was bedeutet, daß eine chromatische Spielweise, insbesondere bei der Kopplung von Melodiespiel und Baßbegleitung, nur eingeschränkt möglich ist (hauptsächlich bedingt durch den automatischen Tonwechsel der Bässe bei Druck und Zug). Das Zusammenspiel mehrerer diatonischer Akkordeons (unterschiedlicher Tonarten) erlaubt es hingegen, diese Einschränkungen zu "umspielen" (auf der CD etwa der chromatische Baßlauf bei La porteuse de pain, der durch "Übernahme" zustande kommt) und harmonische Möglichkeiten auszuschöpfen, die bei einem einzelnen diatonischen Akkordeon so nicht vorhanden sind. Insofern versteht die Gruppe sich nicht als ein modisches Produkt, sondern sucht die Spielmöglichkeiten des diatonischen Akkordeons zu erweitern. (Eine geplante zusätzliche Begleitung mit Double-Bass und Schlagzeug scheiterte aus verschiedenen Gründen).

Was die Zuhörerseite angeht, hebt sich der Cocktail Diatonique aus der oben genannten Familie aus zwei Gründen hervor: Erstens beschränkt man sich weitgehend auf traditionelles Material der eigenen Region (auf der CD 7 von 12 Titeln). Insofern ist die Musik einheitlicher und kompetenter als jene Versuche, alles Erdenkliche ins Programm zu nehmen und dadurch nur eine gewisse Oberfläche der jeweiligen Richtung zu präsentieren (wie dies für mich bei Accordions Go Crazy der Fall ist). Zum zweiten wird nicht auf ein abwechslungsreiches Arrangement und experimentelle Vielfalt verzichtet. Auf der CD wirkt bei drei Stücken (7-9) beispielsweise der Jazzakkordeonist Richard Galliano auf einem chromatischen Instrument mit. Aber nur er jazzt, nicht die anderen, weil sie das nicht als ihre Aufgabe ansehen. Auf Ausflüge in naheliegende Gefilde wie Tango, Klezmer und dergleichen wird gänzlich verzichtet. Cocktail Diatonique ist unüberhörbar eine bretonische Gruppe mit hohem Spielniveau, die Tänze (Ronds de Loudéac, Gavotte, Plinn, Laridé) bleiben tanzbar.

Die Musiker spielen im übrigen italienische Instrumente von Castagnari (Ausnahme: Yann-Fañch, der Bertrand Gaillard, Grenoble, bevorzugt). Daß Castagnari in der Bretagne so geschätzt wird, war mir neu, ebenso, daß dies erst der Fall ist, wenn die Instrumente von dem auf der CD genannten Jean-Pierre Le Roy aus Rennes nachgestimmt worden sind. (In Italien sagt man, die besten Castagnaris gebe es in Frankreich). Im Gegensatz zu vielen anderen Experimenten dieser Art beschränkt sich Cocktail Diatonique nicht auf eine singuläre CD, sondern ist als Gruppe greifbar und somit auch für Veranstalter interessant. Lediglich Patrick Lancien - als einziger nichtprofessioneller Musiker der Gruppe - hat diese zwischenzeitlich verlassen, die nun als Trio und folgerichtig auch mit einem anderen Programm als auf der CD weitermacht. Ein Deutschlandbesuch ist vorgesehen, aber noch nicht terminiert.

(Der Artikel beruht auf einem Interview des Trad Magazine (Nr. 27, März/April 93) mit Y.-F. Perroches und R. Robert und einem weiteren Gespräch mit Y.-F. Perroches, Ostern 93).

Andel Bollé, Folk Michel 5/93

Diskographie:
Cocktail Diatonique: Keltia Musique KMCD 36
J. Beauchamp:
Accordéon diatonique en Bretagne, Arfolk SB 417 AR 210 (LP) 1985 (solo)
Accordéons diatoniques en Bretagne, Keltia Musique KMCD 08 (CD)
1989 (Sampler)
Bogue d'Or 89, Dastum (MC), 1989
R. Robert:
Carré Manchot - Mab Ar Miliner, Escalibur CD 838, 1991
Mosaïque (LP), ILD 2122, 1992
P. Lancien:
Rondes du Pays Loudéac, Dastum (LP), 1987
Diaouled Ar Menez - Merc'h an Diaoul, Escalibur Bur 817, 1986
Dañs, Adipho IGC 01 (CD, Sampler), 1988
Y.-F. Perroches:
Dañs, Adipho IGC 01 (CD, Sampler), 1988
Skolvan - Musique à danser, Adipho IGK 701 (MC)
Skolvan - Kerz'h Ba'n Dans, Keltia Musique KMCD 16 (CD), 1991

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