Mehr als ein normales Festival
Erinnerungen an die Harlekinade
Politik der leeren Kassen beendet Tradition
(ungekürzte Fassung)

Im letzten Jahr ging mit einer Pfälzer Auslese ein traditionsreiches Folkfestival in den Zwangsruhestand: die Harlekinade in Ludwigshafen. Geboren im Jahre 1969 als regionales Musikertreffen im städtischen HaDeJott (Haus der Jugend), gründete sich 1973 der Folkclub und die Harlekinade entwickelte sich ab dem darauffolgenden Jahr zu einem lokalen Musiker-Wettstreit - zu einer Zeit, wo Folkmusik in Deutschland boomte. Als zu Beginn der 80er Jahre das Interesse nachließ, lag die Harlekinade bereits einmal im Sterben, doch auf Initiative von Musikern der Ludwigshafener Gruppe Grashalm hin, wurde sie als "normales" und zugleich internationales Folkfestival "gerettet". Der Folkclub erneuerte sich, und das nun mehrtägige Festival mauserte sich zu einem der bedeutendsten und beständigsten unseres Landes. Mitte der 90er Jahre begann die Stadt Ludwigshafen, die finanziellen Mittel für die Arbeit im HaDeJott immer weiter zu kürzen, mit den entsprechenden Konsequenzen für die Harlekinade. Das endgültige Aus kam dann 1997. Vorbei war es mit einer Stimmung die HaDeJott-Mitarbeiterin Doris Bauer einst so beschrieb: "Geordnetes Chaos und lockere Hektik, absolutes Vertrauen untereinander und unausgesprochene Zuverlässigkeit stehen für diesen Club. Go easy - go folkclub".


Für einige Mitglieder des Folkclubs war die Harlekinade Inspiration, sich auch anderweitig im weiten Feld der Folkmusik zu betätigen.
Brigitte Henselleck hat für den Folker! ihre persönlichen Erinnerungen und Eindrücke anderer Besucher und Festivalorganisatoren zusammengestellt.


Ende 1985 siedelte ich aus beruflichen Gründen von Hamburg nach Mannheim über - Folk-Ödland! Doch das frustrierte Nordlicht fand freundliche Aufnahme: beim Besuch eines Konzertes des Folkclubs im HaDeJott in Ludwigshafen fiel mir ein Schild auf: "der Folkclub sucht neue Mitglieder" - und schon war ich dabei; wählte schließlich die 1986er-Harlekinade-Plakatfarbe - "das Grün von Uschis Hose finde ich toll!" - und erlebte meine erste Harlekinade.
Der Top-Act Gwerz erschlug mich zwar regelrecht, doch dämmerte mir bereits damals, daß bretonische Musik mehr sein mußte als Alan Stivell und Tri Yann. Animiert durch Mitglieder des Folkclubs und die Tatsache, daß LU mit Lorient verschwistert ist, fuhr ich 1988 das erste Mal zum Festival Interceltique und kam Bretagne-infiziert zurück...

Meine Lieblings-Harlekinade war die 1988er mit der Battlefield Band und Bleizi Ruz, inklusive des 15-jährigen Folkclub-Geburtstages, anläßlich dessen wir uns einmalig einen eigenen Festival-Aufkleber mit unserem "Folkkneschd" gönnten. Als weitere eindrucksvolle Künstler sind mir Dedale, Jams, Flairck, Micho Russell, Mara!, die Poozies, Allan Taylor, Werner Lämmerhirt in Erinnerung geblieben, zu deren Einzelkonzerten ich kaum jemals gegangen wäre; so bot mir die Harlekinade durchweg interessante Einblicke in Unbekanntes. Stets war viel ehrenamtliche Arbeit nötig, "Nachtfalter" nannten wir uns, wenn wir zu fortgeschrittener Donners-Tageszeit Programmzettel falteten und verschickten. Oft hatten wir viel Arbeit, doch hat es mir immer auch viel Spaß gemacht, da für mich das gemeinsame Engagement für ein gutes Gelingen der Veranstaltungen im Vordergrund stand. 1991 zog ich zurück nach Hamburg und seitdem fuhr ich regelmäßig Ende Oktober meine 600 km zur Harlekinade. Welche Künstler auftraten, war für mich zweitrangig, wichtiger war es mir, wieder "Harlekinade-Luft" zu schnuppern, alte Freunde und Bekannte wiederzutreffen, an den Tanzworkshops teilzunehmen, ...

Nun ist dies alles vorbei und ich empfinde es schon als reichlich deprimierend, daß die Stadt Ludwigshafen sich schließlich endgültig gesträubt hat, die Harlekinade weiter zu unterstützen. Wo Menschen etwas aus purem Idealismus heraus ehrenamtlich tun, sogar privat zubuttern, das kann doch einfach nichts Wertvolles sein? Für mich haben meine Mitarbeit im Folkclub und insbesondere auch die Harlekinade dazu geführt, daß ich mich auch weiterhin verschiedentlich "folk-aktiv" betätigen muß/te; hauptsächlich als Tontechnikerin und Schreiberin sowie im Internet.

Mein Dank für viele schöne Veranstaltungen und Freundschaft gilt den meinerzeitigen Mitgliedern des Folkclubs Peter, Hans, Babs, Marion, Dietrich, Karin, Matthias, Barbara, Buffy, Markus und insbesondere Doris Bauer, sowie Corina Oosterveen für die Tanzworkshops.


Schlicht hipp - Peter Braun

Als ich so 15, 16 Jahre (1975/76) war, war das Festival schlicht "hipp". Man ging einfach hin, ohne die Künstler zu kennen. Damals war es noch ein Wettbewerb, bei dem das Publikum die Harlekinade-Gewinner auslobte. Die Harlekinade war ihrerzeit DAS Ereignis im Herbst; ein Happening, bei dem man sich traf und meine erste Begegnung mit Folkmusik. Lokale Liedermacher, Gitarristen und Folkbands spielten drei Tage rund um die Uhr. Namen wie Manolo Lohnes, Bernies Autobahnband, Zugvogel, Mara! (mit Danny Thompson), Silly Wizzard, Ted Furey, Dougie Maclean, Emma Myldenberger, Thorin Eichenschild, Birsner + Co. und viele mehr haben sich in meinem Gedächtnis eingenistet.

Auch für meine Band Grashalm war die Harlekinade eine sehr bedeutende Veranstaltung. Anfang der Achtziger gewannen wir beim Bandwettbewerb (2. Platz), nachdem wir ein Jahr zuvor aufgrund unseres "tollen" Demotapes abgelehnt worden waren. Der Titel Harlekinade-Gewinner war damals viel wert und brachte uns einige Nachfolgeauftritte u. a. beim Festival Interceltique de Lorient.

Als Mitte der 80er Jahre aufgrund des zurückgehenden Interesses die Harlekinade beendet werden sollte, begann das Engagement von Grashalm, d. h. in erster Linie von Hans, Opfi und mir, für die Harlekinade und den Folkclub. Wir fragten Klaus Weiland, unsere Mainzer Freunde von der Tom Bombadil Band, Claus Diercks aus Hamburg und die Gruppe Feanor (Vorläufer von Passepartout), ob sie mit uns auf eigenes Risiko auftreten wollten, um die Harlekinade zu retten. Das Fest lief gut und seit diesem Zeitpunkt gab es wieder eine richtige Harlekinade, jedoch nicht mehr als Wettbewerb, sondern als Festival. Ich war fest beim Organisationsteam dabei und wir organisierten Jahr für Jahr ein Festival mit einerseits lokalen Künstlern und andererseits bekannten internationalen Künstlern aus der Folkszene. Im Laufe der Jahre spielten u. a. Gwerz, das Terem Quartet, Bleizi Ruz, Klaus Bösser, Craobh Rua, die Tannahill Weavers, Flairck, Skylark, die Kathryn Tickell Band (damals noch mit Karen Tweed) und viele viele mehr ...

Nicht zuletzt begründet sich auch meine Agentur peter braun concerts auf die Harlekinade. Künstler wie Bleizi Ruz oder Craobh Rua wollten wir für die Harlekinade verpflichten. Sie fragten, ob wir denn ein paar Anschlußtermine für sie machen könnten. Ich besorgte das und daraus entstand die Agentur.

Mir hat es in der Vergangenheit immer Spaß gemacht, das Festival zu organisieren, doch leider hatten wie bei der Stadtverwaltung keine gute Lobby. Als der Geldhahn in den letzten beiden Jahren immer mehr zugedreht wurde und wir keine Finanzierungsgarantie für 1998 erhielten, entschieden wir uns, 1997 mit der Harlekinade aufzuhören, und zwar "lokal", so wie alles angefangen hatte, mit Künstlern aus der Region. "Pfälzer Spezialitäten" war unser Motto. Neben guter Musik gab es auch Köstlichkeiten aus Pfälzer Küchen und Weinkellern. Musikalischen boten wir ein buntes "Pfälzer" Programm: Peter Schraß (m. E. der beste Pfälzer Liederdichter und Lyriker), Siebenpfeiffer (mit ihrem aktuellen Programm Carmina Palatina ging es quer durch die Pfälzer Geschichte), Xaxado (war zwar brasilianische Musik, aber die Musiker sind Pfälzer) und das Schnuckenack Reinhardt Sextett (das legendäre Sinti-Jazz-Ensemble ist in der Pfalz ansässig). Schnuckenack wurde kurz vorher vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten für sein kulturelles Schaffen geehrt und ist bezüglich der Harlekinade ein Mann der "ersten Stunde". Er trat bereits in den 70er Jahren mit seiner Formation auf. Um 23.30 Uhr legten wir (Grashalm) mit Folkrock los und es freute mich, daß unsere neuen Pfälzer Sachen gut beim Publikum ankamen. Nach drei Zugaben beendeten wir diese letzte Harlekinade um 1.00 Uhr. Irgendwie war es doch ein komisches Gefühl, aber die Hoffnung, daß es ein neues Festival und wieder Veranstaltungen des Folkclubs an einem anderen Ort geben wird, bleibt ...


Jedes Jahr wieder ein Happening - Hans Braun

Für mich war die Harlekinade schon immer mehr als ein normales Festival. Erstens lief sie in einem Umfeld ab, das ich als Jugendlicher schon gekannt hatte, zweitens war die Harlekinade keine open-air-Veranstaltung, sondern in einem festen Gebäude (mit all seinen Vor- und Nachteilen) untergebracht, und drittens war mir die Stimmung oder das "Feeling" bei der Harlekinade schon immer wichtiger als die Musik, die auf der Bühne lief.

Ich kam am Anfang, so vor ca. 25 Jahren, zur Harlekinade als normaler Besucher. Wir haben damals noch nicht aktiv Musik gemacht als Grashalm, aber irgendwie sind auch dort ein paar Wurzeln gewachsen. Damals waren viele Sessions angesagt, da die meisten Musiker drei Tage im HaDeJott waren, weil sie ja eventuell beim Wettbewerbs-Abschlußkonzert spielen mußten. Es gab Harlekinaden, da habe ich in diesen drei Tagen maximal einen Interpreten im Saal gehört, ansonsten habe ich selbst Musik bei Sessions gemacht. Die Stimmung war einfach fantastisch. Wenn ich im Haus rumlief, kam aus jeder Ecke ein anderes "Gedudel", und da aufgrund des Wettbewerbs viele Musiker da waren, war auch die Bandbreite recht groß. Was zur guten Stimmung noch beigetragen hatte, war, daß auch die komplette Mannschaft des HaDeJott voll mitgemacht hatte und zwar freiwillig! Ich habe dort in den Anfangsjahren viele Freunde gefunden und es war jedes Jahr wieder ein Happening, mit Schlafsack, etc. die drei Tage Harlekinade miteinander zu verbringen.

Irgendwann gingen dann die Besucherzahlen zurück und die HaDeJott-Leitung wollte das Ganze einstellen. Wir organisierten daraufhin mit Grashalm die "andere Harlekinade" - wie zuvor "non-profit", aber nur noch zwei Tage; die Gruppen spielten nur für Fahrtgeld. Die "andere Harlekinade" war zwar von der Besucherzahl her kein Megahit, aber wir konnten die Stadt doch überzeugen, weiterzumachen. Zu dem Zeitpunkt wurden wir dann auch im Folkclub aktiv. Das Konzept wurde umgestellt auf ein zweitägiges Festival ohne Wettbewerb und es wurden nur noch Gruppen gegen Gage engagiert. Damit Publikum gezogen werden konnte, mußte dann auch immer ein "Top-Act" her und es wurde dadurch ganz schön teuer. Wir haben über die folgenden Jahre wirklich viele gute Gruppen gehabt, ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Für mich war nach wie vor die Stimmung wichtiger als die Musik auf der Bühne, aber es war jetzt stressiger, wegen Bühnendienst etc.. Die Sessions hatten merklich nachgelassen, weil die Musiker meistens nach dem Gig ins Hotel gingen und am nächsten Tag weiterfuhren. Was blieb, waren die Sessions der Besucher, aber es war nicht mehr so schön wie in der Anfangszeit.


Eine kleine Welt für sich - Karin Karn

Ich bin ja erst dazu gekommen, als die Harlekinade keinen Wettbewerbscharakter mehr hatte; ich kenne sie daher nur als reines Festival mit Konzertveranstaltungen, Workshops und "fliegenden Händlern". Von ersterem, dem musikalischen Teil also, habe ich als Veranstalterin eher weniger mitgekriegt. Wie das so ist: bei Festen hat die Hausfrau auch immer den wenigsten Spaß und die meiste Arbeit! Wobei mir die organisatorische Arbeit vor und während der Harlekinade immer sehr viel Spaß gemacht hat, sonst wäre ich nicht jahrelang bei dieser ehrenamtlichen Arbeit geblieben. Als eigentlich Theaterfrau und Folk-Quereinsteigerin habe ich besonders die Atmosphäre unter den Musikern genossen, die zu einem überwältigenden Teil ohne Starallüren und sehr freundschaftlich, kollegial und eben professionell miteinander umgegangen sind, auch die aus dem Amateurbereich. Regelrecht eingetaucht bin ich in diese Stimmung bei den Sessions, die nach dem offiziellen Programm noch die halbe (oder auch die ganze) Nacht andauerten und in die ich auch als Nichtmusikerin voll integriert war.

Persönlich habe ich besonders gerne bei den Tanzworkshops teilgenommen, bei denen Veranstalter und Besucher sich gemischt haben, und das Völkchen der "Folk-Händler", wie ich sie jetzt mal nennen will, hat für mich eine kleine Welt für sich gebildet. Was da an mittelalterlichen, keltischen und germanischen Figuren auftauchte, die Met, Felle und Instrumente "feilboten", hätte jedem Fantasyfilm alle Ehre gemacht.

Seit ich mein Studium in Gießen vor 4-5 Jahren begonnen habe, mußten die Harlekinade und der Folkclub immer mehr und schließlich ganz auf mich verzichten. Und nun müssen alle auf das ehemals größte Folkfestival im süddeutschen Raum verzichten. Obwohl ich wie gesagt nicht mehr dazugehörte in den letzten Jahren, werde ich sie vermissen erst recht, da ich nun wieder nach Ludwigshafen zurückgekehrt bin. Als geborene Ludwigshafenerin gehörte die Harlekinade immer zum Bild meiner Heimatstadt. - Leider sehen das diejenigen, die heute für dieses Bild verantwortlich sind, nicht so.

Brigitte Henselleck, Folker ! 4/98

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