PATRICK MOLARD - PIPER


Im letzten September hatte ich das Vergnügen, meinen Bretagne-Urlaub bei dem bretonischen Dudelsackspieler Patrick Molard verbringen zu können. Er bewohnt ein altes bretonisches Haus in der Zentralbretagne unweit von Maël-Carhaix, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Anke Hiestermann, die die sinnvolle Einrichtung deutsch-französischer Partnerstädte sehr wörtlich genommen hat. Sie arbeitet im Office de Tourisme in Carhaix, wo man beste Informationen über die Folkszene erhält (siehe Szeneteil).

Mit ultimativen Formulierungen soll man vorsichtig sein, das Prädikat "der beste ..." wird schnell allzu Vielen zuerkannt, meistenohne Zustimmung der Betroffenen. Patrick ist nun zweifellos einer der profiliertesten, sicher aber der vielseitigste Piper in der Bretagne und einer der wenigen, die sowohl Biniou koz (alter bretonischer Dudelsack) wie Biniou braz (große Highland Bagpipes) spielt. Geboren 1951 in St. Malo begann er als 14jähriger Bombarde und Highland Pipes zu spielen und landete bald bei der dortigen Bagad Quic en Groigne, später bei der Pipe-Band Ah Ere von Rennes, wo er in Jakez Pincet seinen ersten wichtigen Lehrer traf. 1970/71 ging er nach Aberdeen, um bei Robert Brown und Robert Nicol die klassische Form schottischen Dudelsackspiels zu erlernen, die Pìobaireachds (sprich: Pibrochk), von denen er gut 100 beherrscht (einige zu hören auf der CD "Pìobaireachd", 1992).

Beim bretonischen Folk-Revival Mitte der 70er Jahre war Patrick von Anfang an dabei, bei Alan Stivell natürlich, mit Dan Ar Braz, aber auch in eigenen Gruppen wie Ogham oder Satanazet. Nicht zu vergessen Patricks jüngere Brüder, von denen Jacky nicht nur als exzellenter Geiger, sondern auch als Produzent (Gwerz Pladenn) eine bedeutende Rolle spielt, während Dominique einer der wenigen einfühlsamen Schlagzeuger der Folkszene ist (unlängst bei Skolvan eingestiegen). Entscheidende Marksteine, nicht nur für Patrick selbst, sondern für die gesamte bretonische Entwicklung, waren bzw. sind zweifellos die Gruppen Gwerz, Den und Pennoù Skoulm.

Mittlerweile genießt Patrick großes Renommee in der Fachwelt der Piper und wurde mehrfach zu diversen "Piping Concerts" eingeladen, zusammen mit Größen wie John MacLean, Malcolm Robertson (CD: 2nd Grand Concert of Piping, Edinburgh 1996) oder Angus MacDonald, Paddy Keenan, Gordon Duncan (CD: The Piping concert, 1997). Er spielt dabei nicht nur bretonische Tunes auf dem großen Schotten - die bretonische Entsprechung des Pìobaireachd heißt Biniaouerezh oder Pibaerezh (zu hören auf der neuesten Solo-CD Biniou braz, 1997) - sondern regelmäßig auch andere Pipes, wobei er die Frage nach dem Lieblingsdudelsack für so unbeantwortbar hält wie die nach der Bevorzugung eines seiner drei Kinder.

Neben dem Biniou braz brachte Patrick sich noch einige andere Dudelsäcke autodidaktisch bei, darunter natürlich das in der Bretagne unvermeidliche Biniou koz, das mit der Bombarde zusammen gespielt wird, beide nach Patrick eigentlich "ein Instrument, auf zwei Personen verteilt". Langjähriger Couple-Partner ist Youenn Le Bihan (CD: Er bolom Koh, 1994), mit dem er 1984 und 1985 das "Championnat des Sonneurs en Couple" in Gourin gewann. Letztes Jahr belegte er mit Michel Keranguyader den 2. Platz in der Gesamtwertung des Concours Bombarde/Biniou braz (in den Teilkonkurrenzen "Mélodie" und "Marche" den 1.).

Des weiteren ist Patrick ein mehr als passabler Uilleann Pipes-Spieler (bei Pennoù Skoulm z. B.), wenngleich er diese mit einem gewissen bretonischen "Akzent" spielt, wie er sagt. Seit gut zwei Jahren greift er auch zu den Scottish Small Pipes. Er beherrscht auch Tunes auf der bulgarischen Gaïda (zu hören auf der Triptyque-CD, 1993), die indes für die keltische Musik wegen der charakterisierenden Verzierungstechniken nicht so geeignet ist; nicht nur ein Problem des Fingersatzes, sondern auch der verfügbaren Töne. Small Pipes und Highland Bagpipes sind im Fingersatz identisch, während etwa die diversen französischen Cornemuses anders gebaut sind. Daß Patrick keine Cornemuse spielt, ist aber eher eine Folge des unterschiedlichen musikalischen Feelings der französischen Bordunmusik, die ja in der Regel auch die Drehleier zum Partner hat, die es zwar auch in der Bretagne gibt, die aber außerhalb der nordöstlichen Region keine Bedeutung hat. Hinzu kommt sicher die vergleichsweise unentwickelte Szene im übrigen Frankreich, wo man sich doch noch sehr um eine Wiederbelebung von außen bemüht, die Verwurzlung scheint bei weitem nicht so ausgeprägt wie in der Bretagne, trotz der populären Bourrée-Tänze. Das Festival von St. Chartier im Juli ist zwar ein Mekka, berechtigterweise, aber Leute aus der Region sieht man relativ wenig. Einige kleinere Events in dessen Sog profitieren von dessen Popularität und Besuch, bleiben aber zahlenmäßig gering im Vergleich zur fest-noz-Tradition der Bretagne, von der Menge der Musiker und Bands ganz zu schweigen. Es ist bezeichnend, daß der überwiegende Teil der im französischen "trad magazine" rezensierten CDs aus der Bretagne kommt und bretonische Artikel verschoben werden müssen - wie der über den Skolvan-Akkordeonisten Yann-Fañch Perroches (N° 61) - um die Ausgewogenheit nicht zu gefährden.

So wundert es nicht, daß die musikalischen Beziehungen zwischen der Bretagne und dem übrigen Frankreich weitaus geringer sind als zu den sog. keltischen Ländern. Es ist wohl müßig, darüber zu diskutieren, ob nun alles wirklich keltisch ist, was dafür ausgegeben wird, und für Patrick auch nicht wichtig. Für ihn ist ein Piper wie der Bulgare Petko Stefanoff letztlich genauso wichtig wie die "Neukelten" aus Asturien und Galizien, es kommt auf die musikalische Aussage an.

Im letzten Herbst kam Patrick gerade von einer 10tägigen Tournee aus Galizien zurück, wo er u. a. am von Raúl Piñeiro organisierten 1. Festival Interceltico de Maestros Solistas de la Gaïta teilnahm, u. a. mit "Guti" Fernandez (Asturien), Rory Campbell (Schottland), Carlos Lorenzo (Galizien) und Mick O'Brien (Irland). Die Szene Galiziens/Asturiens ist noch relativ jung und ein wenig chaotisch, wie Patrick berichtete, aber außerordentlich rege und von erstaunlichem Potential. Es gibt doch einiges mehr als nur Carlos Nuñez, der den kommerzielleren Weg eingeschlagen zu haben scheint. (Einer der interessantesten Musiker dort ist derzeit der Gaita-Spieler und Flötist Xosé Manuel Budiño). Allein in der Provinz Orense gibt es mehr als 1.000 Gaïta-Spieler. Bei einem Kurs für Highland Pipes in der dortigen Escuola di Gaita im Juni letzten Jahres sah sich Patrick mit nicht weniger als 70 Interessenten konfrontiert, die an schottischem Grace-Noting interessiert waren.

Die Beziehungen zwischen der Bretagne und Galizien sind recht intensiv. Es sieht dort nicht nur ähnlich aus, es gibt auch dort eine Region namens "finisterre" (ein Ende der Welt im Westen), bretonische Musik ist außerordentlich bekannt und beliebt, z. T. auch ähnlich, gibt es dort mit dem "Alala" ein dem bretonischen Gwerz entsprechenden Gesangstypus. Die Folkrock-CD von Den kennt nahezu jeder. Patrick zeigte sich nicht wenig beeindruckt von seinem eigenen Bekanntheitsgrad dort, selbst Bankbeamte schüttelten ihm die Hand, was in Carhaix, wo er wohnt, selten vorkommt. Als einer der ersten hatte er mit Aires de Pontevedra ein galizisches Stück aufgenommen (auf seinem ersten Soloalbum Ar baz valan von 1983, letztes Jahr auch als CD erschienen), geradezu eine galizische Hymne. Alle Konzerte Patricks in Galizien waren rappelvoll wie eigentlich immer, wenn Pipes im Spiel sind.

Die überraschend engen Verbindungen Bretagne-Galizien, die sich nicht nur an Patrick Molard festmachen lassen (auch Jacky Molard oder Soïg Sibéril sind des öfteren dort), haben sich nicht zuletzt über das Festival interceltique im bretonischen Lorient entwickelt, wo schon seit den 80er Jahren regelmäßig galizische und asturische Gruppen eingeladen werden. Damals von vielen belächelt, auch von mir, klangen doch Gruppen wie Milladoiro anfangs wie imitierte irische Bands. Mittlerweile zeigen sich jedoch auch Musiker wie Liam O'Flynn (s. letzte CD The Pipers Call) oder Paddy Moloney von galizischen Tunes und Arrangements beeindruckt.

Ein Grund für Patricks viele Auslandskonzerte liegt sicher darin, daß in der Bretagne selbst die Konzertkultur überraschend schwach entwickelt geblieben ist, sie wird deutlich von der Fest-noz-Musik beherrscht. Das hat Tradition und wird auch nicht durch die Handvoll Festivals relativiert. Es ist zu erinnern, daß es vor dem Folk-Revival der 60er Jahre ohnehin nichts anderes gab. Vor Sonerien Du, Diaouled Ar Menez, Alan Stivell oder Gilles Servat existierten im Prinzip nur die traditionellen Couples, meist Biniou-Bombarde oder Gesang und Bagads. Das macht das Überleben von Gruppen wie Gwerz, Den oder auch Barzaz so außerordentlich schwierig und erklärt den relativ mageren Bestand an Tonträgern, der der musikalischen Bedeutung solcher Gruppen nicht entspricht. Es scheint bezeichnend, daß es Jahre dauerte bis die auf der legendären Dañs-CD von 1988 vertretenen Gruppen des Modern Folk auch auf Einzel-CDs zu haben waren. Mangels Auftrittsmöglichkeiten außerhalb der Tanz- und Festivalszene werden manche nur von Zeit zu Zeit reaktiviert wie im Moment Gwerz - vor Barzaz die einzige bretonische "Konzertgruppe" -, die nicht nur ihre erste LP im letzten Jahr als CD wiederaufgelegt haben, sondern auch an einer neuen arbeiten, mit ganz neuen Stücken, bei der Patrick natürlich mit von der Partie ist.

Die derzeitige Schwemme an bretonischen CDs enthält vieles, was auf der Basis der ersten Revival-Generation aufbaut und teilweise wie Kopien klingt. Zu Recht beklagt Patrick, daß auch etliche Gruppen auf den Zug bretonischer Musik aufspringen, die die bretonische Musik eigentlich nicht kennen, sondern eher als Pariser Jazz- oder Rockgruppen einzustufen wären. Es geht ihm hierbei nicht um eine puristische Haltung - fundamentalistische "Ayatholla-Kritiker" gibt es auch in der Bretagne genug -, vielmehr um eine Charakterisierung eher kommerzieller Beweggründe, das Geldmachen auf dem Rücken der bretonischen Kultur. Das Mitwirken einer Bombarde allein macht eben noch keinen bretonischen Frühling. Natürlich ist es unstrittig, daß bei Fusionen auch qualitätvolle Musik herauskommen kann wie bei dem bretonischen Jazzgitarristen Jacques Pellen oder Annie Ebrels Zusammenarbeit mit dem italienischen Kontrabassisten Riccardo del Fra. Es wird aber ein ewiger Streitpunkt aller Folk-Szenen bleiben, ob sich Rock oder Jazz beim Folk ausbeuterisch bedienen oder musikalisch Neues bewirken. Eine Frage des Einzelfalls, denke ich.

Ungeachtet dessen bleibt das quantitative und qualitative Potential an Musikern in der Bretagne beachtlich, nicht zuletzt durch die Bagad-Bands, die sich zwar im wesentlichen auf die Festivals konzentrieren, insbesondere Lorient, aber ein erhebliches Reservoir an jungen Musikern auf den traditionellen Instrumenten (Pipes und Bombarden) darstellen, dem ja auch Patrick entstammt. Derzeit spielt Patrick aus besagten Gründen nur gelegentlich in einer Band, bei Gwerz, manchmal bei Pennoù Skoulm, wenn der derzeitige Uilleann-Piper Ronan Le Bars verhindert ist. Den müßte gänzlich reaktiviert werden, wofür aber derzeit nichts spricht. Die kontinuierliche Produktion exzellenter Folkmusik durch Patrick wird sich aber durch derartiges kaum beeinträchtigen lassen.

(Das Portrait beruht auf einem langen Abendgespräch zwischen Patrick Molard, Heidi Rasche und A. B.).

Andel Bollé, Folker! 3/99



Diskographie Patrick Molard
(CD-Auswahl, angegeben sind die Aufnahmejahre)
1983: Ar baz valan (Keltiagraphie/Keltia Musique KMCD 87)
1985: Gwerz (ohne Tite) (Ethnéa ET 8803 AR)
1987: Gwerz Au Delà (Escalibur DAS CD 821)
1988: Crépillon/Bigot/Molard Ar Sac'h Ler (Escalibur CD 826), Diverse Interpreten Dañs (Adipho IG C01)
1989: Den Just Around The Window (Escalibur CD 830), Pennoù Skoulm Fest noz (Escalibur CD 854)
1992: Gwerz Live (Gwerz Pladenn GWP 001), Piobaireachd (Gwerz Pladenn GWP 003)
1993: Triptyque (ohne Titel) (Gwerz Pladenn GWP 002), Jacques Pellen Celtic Procession (Silex Y 225028)
1994: P. M. & Youenn Le Bihan Er Bolom Koh (Gwerz Pladenn GWP 007)
1996: Diverse Interpreten 2nd Grand Concert Of Piping" (Greentrax CDTRAX 128)
1997: Biniou Braz (Cinq planètes CP 022972), Diverse Interpreten The Piping Concert (Lochshore CDLDL 1270), Christian Duro Sonneur Fisel (Escalibur CD 872), Diverse Interpreten The Gathering (Real World CDRW 62)
1998: Alain Genty Le Grand Encrier (Keltia Musique KMCD 92)
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